Das Objekt im Fokus der Monate November und Dezember 2025 ist das Praxisschild der Frauenärztin Dr. med. Ilse Deichmann. Sie war von 1946 bis 1977 als Fachärztin für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe in Minden tätig. Das handgefertigte Praxisschild stammt aus ihrem Nachlass und kam vor gut 30 Jahren ins Museum. Die Aufschrift wurde mit einem Pinsel auf die lackierte Sperrholzplatte aufgetragen. Vermutlich wurde das Schild bei einem Mindener Schildermaler in Auftrag gegeben. Dass es sich um eine Handarbeit handelt, kann man an einer Korrektur in Zeile 4 erkennen. Hier stand ursprünglich das Wort „für“.
Bei dem Schild handelt es sich um eine Zweitverwendung. Im Zuge der Materialknappheit unmittelbar nach Kriegsende wurden viele Dinge für den erneuten Gebrauch aufbereitet. Seine Rückseite wurde mit einem breiten Pinsel ungleichmäßig in einer mattschwarzen Farbe überstrichen. Darunter kann man Ausschnitte eines dunkelgrünen Schriftzugs sowie Teile einer braunen Umrandung erkennen. Die Schriftart ist eine sogenannte Gebrochene Grotesk, die in den 1930ern entstand. Sie war während der NS-Zeit sehr beliebt. Daher kann man davon ausgehen, dass das Schild aus dieser Zeit stammt.
Ilse Deichmann wurde 1912 in Hannover geboren und wuchs in der Thüringer Kleinstadt Suhl auf. Ende der 1920er Jahre zog sie mit ihren Eltern nach Minden. Ihr Vater war hier zum Direktor des Amtsgerichts berufen worden. Nach ihrem Abitur 1931 begann sie ein Medizinstudium an der Universität Göttingen mit Studiensemestern in Jena, Freiburg und Königsberg. Ihre Immatrikulationsunterlagen belegen, dass sie bis 1935 nicht dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund angehörte. Sie scheint auch später keiner NS-Organisation angehört zu haben, wie Unterlagen aus dem Reichsarztregister im Bundesarchiv Berlin belegen.
Ilse Deichmanns beruflicher Weg zur Ärztin stellt eine Ausnahme dar. 1932 lag der Anteil von Frauen in der Humanmedizin bei etwa 20%. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurden nur noch maximal 10% Frauen pro Fach zugelassen. Zudem wurden Ärztinnen, die heirateten oder verheiratet waren, entlassen. 1934 entzog man ihnen auch noch die kassenärztliche Zulassung. Möglicherweise erleichterte der Juristenstatus ihres Vaters ihr den Weg in eine medizinische Karriere.
Ilse Deichmann schloss ihr Studium 1938 erfolgreich ab und trat zunächst eine Stelle als Hilfsärztin in der Frauenklinik des Städtischen Krankenhauses Minden an. Zum 1. September 1939 wechselte sie als Assistenzärztin an die Landesfrauenklinik Hannover - an dem Tag, an dem NS-Deutschland den Zweiten Weltkrieg entfesselte. Die ersten vier Kriegsjahre verbrachte sie in Hannover, bis sie im November 1943 an die Landesfrauenklinik Celle wechselte. Dies geht ebenfalls aus Unterlagen aus dem Bundesarchiv Berlin hervor.
Nach Kriegsende kehrte Ilse Deichmann in ihr Elternhaus nach Minden in die Immanuelstraße 10 zurück. Bald darauf erhielt sie ihre Anerkennung als Fachärztin und eröffnete im Haus eine Praxis für Privatversicherte. Drei Jahre später bewarb sie sich auf die Zulassung als Kassenpraxis, um auch gesetzlich versicherte Patientinnen aufnehmen zu können. Diese Zulassung erhielt sie im Dezember 1949. 1977 gab sie ihre Praxis auf. Ihr Praxisschild befand sich vermutlich in einem Fenster ihrer Praxis, wo es der Witterung nicht ausgesetzt war.
