Tief greift Jens Müller in den durchsichtigen großen und mit Wasser gefüllten Sack. Es wimmelt darin nur so von kleinen dunklen Tieren. Der Gewässerwart der Mindener Interessengemeinschaft der Fischereivereine e.V. (IG) fischt erfolgreich nach einer jungen Quappe, die sich putzmunter in seiner Hand windet. Der etwa vier Zentimeter lange Fisch wartet, wie seine rund 1.600 Artgenossen im Wassersack darauf, in die Freiheit entlassen zu werden. „Quappen wachsen schnell. Sie sind nachtaktive Raubfische, die nur bei bis ca. 18 Grad Wassertemperatur fressen. Wenn es wärmer wird, stellen sie die Nahrungsaufnahme ein und zehren von ihren Fettreserven“, erklärt Jan-Nicolai Klement, Vorsitzender der Weserfischereigenossenschaft Minden.
Müller - in langen, grünen Gummistiefeln - lässt den kleinen Fisch langsam ins Wasser der Bastau gleiten. Sofort schwimmt er los und verkriecht sich unter einem Kieselstein. Neben ihm steht im Fluss Burkhard Müller, stellvertretender Vorsitzender der Mindener Interessengemeinschaft der Fischereivereine e.V.. Beide schaufeln vorsichtig Bastauwasser in den Sack mit den Jungfischen – zur Akklimatisierung. Wenig später gleiten langsam die ersten paar hundert Quappen in die Bastau, die andere Hälfte wird an einer Stelle des Flusses ins Wasser gelassen.
Die Quappen verteilen sich schnell in der Bastau, ein Nebenfluss der Weser, der im vergangenen Jahr im Stadtbezirk Rodenbeck auf einem rund 500 Meter langen Abschnitt renaturiert wurde. Der vorher ziemlich gerade verlaufende Fluss mäandert nun und bietet vielen Tieren im und am Wasser neue und artgerechte Habitate.
Auch Ralf Bicknese, bei den Städtischen Betrieben Minden für die Wasserbaumaßnahme verantwortlich, ist dabei, als die Quappen ausgesetzt werden. Ein Schild am Ufer informiert darüber, welche Fauna hier lebt. Darüber verschafft sich die Stadt regelmäßig - mit Unterstützung des Gewässerbiologen und Lehrers Dr. Christian Frenz - einen Überblick, der in regelmäßigen Abständen zusammen mit Schülern die Tiere im Fluss fängt, zählt und Entwicklungen dokumentiert – Monitoring nennt sich das.
Quappen waren historisch in vielen den fließenden Gewässern des Kreises Minden-Lübbecke heimisch und sind dann fast ganz von der Bildfläche verschwunden, weil ihnen durch Flussbegradigungen Lebensräume genommen wurden und die Flüsse insgesamt starker Verschmutzung ausgesetzt waren. Sie sind in der Liste der vom Aussterben bedrohten Arten aufgeführt.
Die Weserfischereigenossenschaft Minden beabsichtigt in Kooperation mit ihren Fischereipächtern die Wiederansiedlung dieser vom Aussterben bedrohten Fischart in der Weser sowie ihren Zulaufbächen. „Nur ein geringer Anteil der ausgesetzten Jungfische wird wegen Fressgefahr durch größere Raubfische aber auch durch fischfressende Vögel wie Reiher, Kormoran und Gänsesäger zu einem Elterntier heranwachsen und sich dann hoffentlich erfolgreich in unseren Gewässern hier fortpflanzen und dann zum Arterhalt bzw. zur Wiederansiedlung beitragen“, schätzt Jan-Nicolai Klement. Quappen haben bei kühleren Wassertemperaturen ihren höchsten Stoffwechsel und sind erst nach drei Jahren geschlechtsreif.
Insgesamt rund 20.000 Jungfische wurden jetzt erstmals in Weser, angebundene Nebengewässer und in die Bastau im Zuständigkeitsbereich der Weserfischereigenossenschaft Minden ausgesetzt – eine Maßnahme, die vor allem dem Artenschutz und der Biodiversität dient. Quappen fressen, wenn sie größer sind, auch die Schwarzmundgrundeln, die hier nicht heimisch sind, als invasiv gelten und damit Ökosysteme gefährden.
Die jetzt ausgesetzten Quappen sind direkte Nachkommen weserstämmiger, wildlebender und nicht domestizierter Elterntiere, die über den Anglerverband Niedersachsen erworben werden konnten und die dort mit großem Aufwand in eigens hierfür vorgehaltenen Teichen herangezogen wurden. Für den Besatz der niedersächsischen Tiere musste zunächst eine Genehmigung seitens der hierfür zuständigen Oberen Fischereibehörde bei der Bezirksregierung Detmold eingeholt werden, so Klement.
Eine rund ein Kilogramm schwere weibliche Quappe trägt rund 700.000 Eier, die entnommen und anschließend künstlich befruchtet werden. Die jungen Raubfische müssen in der Größe von 4 bis 8 Zentimetern aus den Aufwuchsteichen entnommen werden, da diese kannibalisierend sind und sich in zu dichter Haltung ansonsten gegenseitig dezimieren würden. Quappen ernähren sich, wenn sie größer sind, von anderen kleinen Fischen, Larven und Krebsen.
Die Quappe ist der einzige Fisch aus der Ordnung der Dorschartigen, der ausschließlich im Süß- oder Brackwasser vorkommt. Sie gehört in Deutschland zu den stark gefährdeten Tierarten und unterliegt deshalb in vielen deutschen Bundesländern fischereilichen Schonbestimmungen. Sie sind in Nordrhein-Westfalen ganzjährig geschont. „Wenn ein Angler eine Quappe fängt, muss er sie zwingend und vorsichtig wieder frei lassen“, erläutert Vorsitzender Klement.
2002 war die Quappe in Deutschland Fisch des Jahres. Sie ist ein bodenlebender und nachtaktiver Raubfisch und kann bis zu einer Länge von 150 Zentimetern und einem Gewicht von 34 Kilogramm heranwachsen, wird in der Regel aber nicht größer als 40 Zentimeter. „Sie soll ähnlich wie ein Kabeljau schmecken“, berichtet Jan-Nicolai Klement, der aber selbst – wegen der Schutzbestimmungen – noch keine Quappe gegessen hat.
Die Weserfischereigenossenschaft Minden und ihre Pächtervereine beabsichtigen in Abhängigkeit von der tatsächlichen Verfügbarkeit der Jungfische, auch in den nächsten Jahren wiederkehrend Quappen in die Genossenschaftsgewässer auszubringen und „diese Fischart hier mittelfristig hoffentlich wieder selbsterhaltend angesiedelt zu bekommen und so einen Beitrag zum Artenschutz zu leisten“, wünschen sich die Beteiligten.
Schon im vergangenen Jahr und auch 2023 hatten IG und Fischereigenossenschaft einige tausend Bachforellen, die ebenfalls als im Bestand bedroht gelten, in der Bastau ausgesetzt. Erste Probebefischungen fielen positiv aus. So konnten in der Bastau etliche Bachforellen gefangen werden, die im guten Ernährungszustand sind. „Den Fischen geht es offenbar gut und unsere Besatzbemühungen zeigen Erfolge“, so Klement abschließend.
Weitere Informationen
Die Weserfischereigenossenschaft Minden ist der laut Landesfischereigesetz NRW vorgesehene Zusammenschluss aller Fischereirechtsinhaber im hiesigen Fischereibezirk. Die Stadt Minden ist als Eigentümerin verschiedener Gewässergrundstücke (und damit Fischereirechtsinhaberin) dort genauso verpflichtetes Mitglied wie zum Beispiel die Städte Petershagen und Porta.
Die Mindener IG ist der Zusammenschluss der hiesigen Fischereivereine und pachtet von der Weserfischereigenossenschaft Minden die Fischereirechte und gibt ihrerseits dann die Fischereischeine an die Angler aus. Elf Vereine haben sich in der Mindener Interessengemeinschaft der Fischereivereine e.V. zusammengeschlossen. Die Mindener IG hat im Bereich der Mittelweser von Vlotho bis Schlüsselburg auf mehr als 70 Kilometern Weserstrecke die Fischrechte gepachtet.