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Gründung vor 100 Jahren: Mindener Jugendamt im Wandel der Zeiten


Die damals „ziemlich revolutionäre“ Grundidee des 1922 verabschiedeten „Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes“ (RJWG), welches Kindern und Jugendlichen erstmals in Deutschland ein eigenes Recht auf angemessene Erziehung einräumte, ist noch immer aktuell. Das vom Parlament der 1. Deutschen Republik (Weimarer Republik) vor 101 Jahren beschlossene Gesetz bildete die Basis für die Gründung von Jugendämtern – bundesweit. „Minden war hier im August 1923 weit vorn“, weiß der Erste Beigeordnete Peter Kienzle. Denn mit dem im Jahr 1922 übernommenem und bereits 1897 gegründeten Karoline-Dettmer-Kinderhort verfügte die Stadt seinerzeit über eine der heute ältesten Jugendhilfeeinrichtungen in Westfalen.

Genau am 23. August 1923 – so steht es in den Verwaltungsberichten der Stadt Minden, die im Kommunalarchiv aufbewahrt sind – wurde per Verfügung ein Jugendamt bei der Stadt Minden eingerichtet. Der Name blieb über 100 Jahre so erhalten. „Aber die Inhalte, Aufgaben und die Ausrichtung unserer Arbeit haben sich grundlegend verändert“, so Eckhard Mohrmann, seit November 2020 Leiter des städtischen Jugendamtes.

Das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) hatte unter anderem noch eine starke behördliche Kontroll- und Eingriffsorientierung. 1991 erfolgte ein Paradigmenwechsel durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) mit einer stärkeren Angebots- und Hilfeorientierung für Familien. Mit dem Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (KICK) und dem Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) veränderten sich die Aufgabenbereiche der öffentlichen Jugendhilfe weiter. Der Kinderschutz und die Kindertagesbetreuung bekamen im Laufe der Jahrzehnte einen immer größeren Stellenwert.

Am 1. Januar 2012 trat das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) in Kraft. „Dieses regelt den umfassenden, aktiven Kinderschutz in Deutschland“, erläutert Mohrmann. Auslöser waren tragische Fälle von Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch von Kindern im gesamtem Bundesgebiet. Der Schutzauftrag bei Kindewohlgefährdung wurde erweitert und die „Frühen Hilfen“ als präventive, niederschwellige Maßnahmen sind eingeführt worden. Die Stadt Minden war bei den „Frühen Hilfen“ Vorreiterin und hat dieses Angebot in Kooperation mit dem Kreis Minden-Lübbecke und weiteren Kommunen kontinuierlich ausgebaut.

Weitere Veränderungen gab es ab dem 9. Juni 2021. An diesem Tag trat das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) in Kraft, das unter anderem einen inklusiven Blick auf Kinder und Jugendliche nimmt und die Schnittstellen zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Eingliederungshilfe schrittweise vereinigt. Eine verbindlichere Kooperation im Kinderschutz, verschärfte Anforderungen an Betriebserlaubnisverfahren – zum Beispiel die Vorhaltung von Schutzkonzepten - sowie eine Reformierung des Pflegekinderwesens unter Kinderschutzgesichtspunkten sind weitere wesentliche Änderungen dieses Gesetzes.

Die jüngste rechtliche Grundlage für die Arbeit der Jugendämter ist das seit dem 1. September 2022 geltende Landeskinderschutzgesetz NRW, welches durch festgeschriebene Qualitätsentwicklungsstandards primär im Bereich der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe den Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie deren Rechte absichert. „An den gesetzlichen Änderungen wird deutlich, wie sich die Aufgabenschwerpunkte des Jugendamtes wandeln“, so der Jugendamtsleiter weiter, der in dieser Funktion die Gesamtverantwortung für die Erfüllung der Aufgaben trägt. 

Mit seiner Gründung übernahm das Mindener Jugendamt auch die Aufgabe, mit freien Trägern, die in der Jugendfürsorge (jetzt Jugendhilfe) tätig sind, zu kooperieren und zusammenzuarbeiten. Mit wenigen Beamten ging es im Jahr 1923 los. Aus dieser Zeit und bis 1945 gibt es fast keine Dokumente oder Akten mehr, weil das Rathaus zum Kriegsende vollkommen ausbrannte. Viele Jahre war das Jugendamt in der „Kaiser-Villa“ am Fischerglacis untergebracht. 1978 zog es in den Rathaus-Neubau am Kleinen Domhof um, wo es seit Juli 2022 – nach einer Interims-Unterbringung im Regierungsgebäude am Weserglacis – wieder zu finden ist.

Die Gründung fiel in eine Zeit, in der viele Frauen ihre Männer und viele Kinder ihre Väter im Ersten Weltkrieg verloren hatten oder die kriegsversehrt zurückkehrten. Die Weimarer Republik (1918 bis 1933) musste sich erst einrichten. Die Not und Armut in vielen Familien war groß. Die Inflation ließ den Brotpreis auf 399 Milliarden Reichsmark ansteigen, das Schulgeld erreichte 1924 die stolze Summe von 5 Billionen Reichsmark.

„Mit der Jugend stand es nicht zum Besten. Wie immer in Zeiten des Umbruchs haben Kinder und Jugendliche am meisten zu leiden.“ Das sagte 1998 Prof. Dr. Dr. Wolfgang Gernert in seiner Rede zum 75-jährigen Jubiläum des Jugendamtes. Er war seinerzeit Leiter des Landesjugendamtes beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Er berichtete beim Festakt im Großen Rathaussaal vor 25 Jahren auch von Jugendlichen, die sich in den 1920er Jahren „scharenweise in Lustbarkeiten, zum Tanzen und in Kinos stürzte“. Keine leichte Aufgabe für die Verantwortlichen und Mitarbeiter*innen der ersten Stunde, die als Qualifikation „eine für die Betätigung in der Jugendwohlfahrt hinreichende Ausbildung“ besitzen sollten (RJWG § 9).

Seit seiner Gründung – mit Ausnahme der Jahre des Nationalsozialismus‘ – ist das Jugendamt zweigliedrig aufgebaut: Es setzt sich aus der Verwaltung des Jugendamts und dem Jugendhilfeausschuss, der früher Jugendwohlfahrtsausschuss hieß, zusammen.

Eine „Institution“ an sich – betrachtet man die Geschichte des Jugendamtes – ist die langjährige Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses, Elke Kehrer (SPD). Bereits seit 1994 ist sie Mitglied in diesem Gremium. Vorsitzende wurde sie im Juni 1997 – nach dem Ausscheiden von Inge Dührkoop – bis zur Wahl 1999. Danach ging der Vorsitz an die CDU-Stadtverordnete Christel Michel, Kehrer war Stellvertreterin. Seit 2004 ist sie durchgehend Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses und füllt dieses Amt weiter mit großem Sachverstand aus.

„Die Jugendhilfe gehört zweifellos zu den bedeutenden Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung, da sie aber immer auch einen hohen Finanzaufwand erfordert, gehört sie erfahrungsgemäß nicht zu den beliebtesten, sicherlich aber zu den anspruchsvollsten Aufgaben eine Kommune“, sagte Elke Kehrer zum 75-jährigen Jubiläum des Jugendamtes in ihrem Grußwort. Diese Feststellung ist nach wie vor aktuell.

Jugendhilfe und Jugendarbeit lässt sich die Stadt Minden alljährlich „etwas mehr kosten – immer sehr gut investiertes Geld“, wie der Erste Beigeordnete Peter Kienzle, zu dessen Geschäftsbereich auch das Jugendamt zählt, unterstreicht. Nach dem aktuellen Haushaltsplanentwurf stehen dem Jugendamt für das Jahr 2023 rund 70 Millionen Euro zur Verfügung – inklusive der Personal- und Verwaltungskosten. Demgegenüber stehen Einnahmen von rund 29 Millionen Euro aus Bundes- und Landesmitteln, Kostenerstattungen anderer Behörden sowie Kostenbeiträge von Eltern beziehungsweise Elternteilen.

Jugendamt heute
„In der Öffentlichkeit und insbesondere in den Medien wird das Jugendamt oftmals noch in erster Linie als Eingriffsbehörde wahrgenommen, dass Kinder entweder zu früh oder zu spät aus Familien nimmt“, weiß Jugendamtsleiter Eckhard Mohrmann. Die Sicherung des Kindeswohls sei eine elementare Aufgabe des Jugendamtes, aber die Behörde leiste noch viel mehr.

„Wir bieten auf dem Stadtgebiet Minden gut 3.000 Plätze in über 41 Kindertageseinrichtungen an und nochmal 300 in der Kindertagespflege an“, so Mohrmann. Das Jugendamt selbst ist Träger von vier Kindertageseinrichtungen und dem Karoline–Dettmer-Kinderhort.

„Hunderte von Kindern und Jugendlichen erreichen wir jährlich durch unsere Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit - durch die Ferienspiele, durch Freizeiten und vieles mehr“, berichtet der Jugendamtsleiter. Das Jugendamt unterhält fünf städtische Jugendhäuser mit einem sehr breitgefächerten Angebot. Der Kinderzirkus „Peppino Poppollo“ ist weit über die Grenzen Mindens hinaus bekannt.

Mehr als 400 Familien erhalten im Rahmen der Erziehungshilfe eine ambulante sozialpädagogische Unterstützung, knapp 90 junge Menschen leben in einer Jugendhilfeeinrichtung und 100 junge Menschen in Pflegefamilien. Rund 60 Kinder- und Jugendliche erhalten eine Eingliederungshilfe, weil ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aufgrund einer seelischen Behinderung beeinträchtigt ist.

Rund 1.300 Alleinerziehende erhalten Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Aktuell werden 543 Beistandschaften und 161 Vormundschaften im Jugendamt geführt. Hinzu kommen die „Frühen Hilfen“, die Trennungs- und Scheidungsberatung, die Begleitung von Umgangskontakten, Adoptionen, Beurkundungen, die Beteiligung der Jugendhilfe in Jugendstrafverfahren sowie Beteiligungsprojekte von Kindern und Jugendlichen zu Themen ihrer Lebenswelt, Jugendhilfe im Strafverfahren und vieles mehr, nennt Jutta Riechmann, Leiterin des Bereiches Allgemeiner Sozialer Dienst Jugendhilfe, weitere Aufgaben. 

Diese große Vielfalt an Leistungen bewältigen aktuell rund 225 Mitarbeiter*innen, die aber nicht alle eine Vollzeitstelle haben. „Auszubildende und Anerkennungspraktikanten sind nicht mit eingerechnet“, berichtet Eckhard Mohrmann. Mehr als die Hälfte dieser Kolleginnen und Kollegen sind in Einrichtungen außerhalb der Kernverwaltung tätig – wie in den vier städtischen Kindertageseinrichtungen, im Hort und in den fünf Jugendhäusern.

„Wir möchten junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und Mindener Familien die gewünschten und notwendigen Hilfen anbieten. Wir möchten mit unseren Angeboten dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien zu erhalten oder zu schaffen und Kindern und Jugendlichen dabei helfen, selbstbewusst, stark und sicher durchs Leben zu gehen. Das ist die beste Investition in unsere Zukunft“, so der Jugendamtsleiter abschließend.

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