„Es war wohl eine der besten Demokratiekonferenzen, die wir bislang hatten.“ So lautete das Resumeé von Bürgermeister Michael Jäcke zum Abschluss der fast dreistündigen Veranstaltung in der Aula des Ratsgymnasiums. Rund 100 Bürger*innen und auch zahlreiche Schüler*innen nahmen an der von Michael Buhre moderierten Konferenz teil. Diese hatte als Schwerpunkt den Antifeminismus - als Kernelement rechtsradikaler und autoritärer Weltbilder. Den Input-Vortrag für die anschließende Diskussion hielt die Journalistin und Autorin Susanne Kaiser aus Berlin. Die Veranstaltung wird über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.
In seiner Begrüßung strich Bürgermeister Jäcke heraus, dass Antifeminismus die Diskriminierung von Menschengruppen legitimiere, was eindeutig antidemokratisch sei. Gleichberechtigung gehöre zu einer demokratischen Gesellschaft. „Das ist nicht verhandelbar - das ist ein Fakt, das ist gesetzt“, so Jäcke deutlich. Aber Rechtsextreme und rechtspopulistische Strömungen sähen darin eine Gefahr - für eine Ordnung, die Männer privilegiere und Frauen unterordne. Ihre Position richte sich gegen die Gleichstellung der Frauen genauso wie gegen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt.
„Antifeministische und frauenfeindliche Positionen haben schon immer zu den Kernbestandteilen von rechtsradikalen und autoritären Politikansätzen gehört“, fasste der frühere Bürgermeister Michael Buhre in seiner Anmoderation zusammen. Diese Positionen beruhten auf hierarchischen Gesellschaftsvorstellungen und auf dem Prinzip der Ungleichheit zwischen Frauen und Männern. Er zeigte sich zufrieden mit dem positiven Ergebnis der Eingangs-Befragung. Alle Teilnehmer*innen sollten zu Beginn einen grünen Punkt auf einer Skala zu den Fragen zuordnen: 1. Wie schätzen Sie Toleranz und Offenheit in der Mindener Stadtgesellschaft ein und 2. Wie schätzen Sie das Engagement für Demokratie und Vielfalt in Minden ein?
Marcel Komusin von der Koordinierungs- und Fachstelle des „Lokalen Aktionsplanes“ konnte auf zahlreiche Aktivitäten und Veranstaltungen in den Jahren 2022 und 2023 zurückblicken, die aus dem Programm „Demokratie leben!“ gefördert wurden. Dazu gehörten Vorträge, Diskussionen, Workshops, eine Solidaritätsaktion für eine Quartiersmanagerin, die in den sozialen Medien nach der Sprühaktion-Aktion „Alle Willkommen“ beleidigt und gehetzt wurde sowie auch der Workshop „Game over“ – Schüler*innen programmierten ein Videospiel im Retrolook zum Thema Mobbing und „Hate Speech“. Abschließend stellte Komusin den Treffpunkt „LilaGold“ am Friedensplatz in der oberen Altstadt vor.
Langen Applaus gab es für den Beitrag der 15-jährigen Schülerin Aylin vom Jugendforum Minden. Mädchen und Frauen seien auch in der Bundesrepublik Deutschland nicht komplett gleichberechtigt. Es gebe immer noch viele Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Und: Feminismus sei nicht mit Männerhass gleichzusetzen, stellte sie klar. Mädchen und Frauen sollten die gleichen Chancen haben wie Jungen und Männer – im Alltag, im Berufsleben und auch in der Politik. Nur 34 Prozent der Abgeordneten im Deutschen Bundestag seien Frauen, stellte Aylin fest. „Aufklärung hilft gegen Abneigung“, schlägt sie abschließend vor und fordert alle Anwesenden auf, sich dafür einzusetzen, dass Frauen frei leben und frei entscheiden können.
Rechtsradikale und auch zunehmend Teile der bürgerlichen Mitte hätten den „Antifeminismus“ als großes Thema für sich entdeckt, so die Autorin Susanne Kaiser in ihrem rund einstündigen Vortrag. Feminismus werde von diesen Gruppen als „Bedrohung der männlichen Macht“ empfunden. Sie teilt die Anhänger*innen dieses Zusammenschlusses – der große Teil ist männlich - in Rechte, religiöse Hardliner und Maskulinisten auf. Diese treffen sich auf dem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ in den Netzen und verbreiten zumeist „wirre Hassideologien“.
Es gebe „Shooting Stars“, die Millionen von Followern haben und mit kruden Aussagen gegen selbstbewusste Frauen und Aufrufen zu Gewalt polarisieren und damit ihre männliche Anhängerschaft täglich und weltweit vergrößern. Antifeminismus sei auch Thema in den Wahlkämpfen diverser Machtpolitiker wie Donald Trump. Ziel dieser maskulinen Dominanz sei es, Frauen wieder an den Herd zu verbannen – in die „traditionelle“ Rolle als Hausfrau, Ehefrau und Mutter, so die Autorin. Auch viele Kommentare, die Gewalt verherrlichen und sogar zu Vergewaltigungen animieren, um Frauen einzuschüchtern, seien in den sozialen Netzen zu finden.
Susanne Kaiser befasst sich seit 20 Jahren mit den Machtverhältnissen zwischen Männern und Frauen – bevorzugt in muslimischen, aber auch in westlichen Gesellschaften. Daneben beschäftigt sie sich mit neu aufkommenden Phänomenen wie organisiertem Frauenhass und Sexismus gegen Frauen. Als Expertin tritt ist sie auch in Talk-Runden gefragt. Sie hält Vorträge in Organisationen, gibt Interviews und beteiligt sich regelmäßig auch an Podiumsdiskussionen - wie beispielsweise vom Verfassungs- oder Staatsschutz und bei Veranstaltungen von privaten Organisationen wie der Hans-Böckler-Stiftung oder dem Goethe-Institut. Ihr neuestes Buch (2023) heißt: „Backlash – Die neue Gewalt gegen Frauen“.
Die Opfer von Hass und Hetze dieser Netz-Allianz seien im Schwerpunkt starke, im Leben stehende Frauen – auch viele Politikerinnen, so Kaiser in ihrem Vortrag weiter. Diese – wie zum Beispiel die Bundestagsabgeordneten Renate Künast und Ricarda Lang (auch Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen) – wurden vielfach angefeindet, beleidigt und diffamiert. „So etwas kann sich auch als Methode entwickeln, erfolgreiche Frauen mürbe zu machen und mit verbaler Gewalt zum Schweigen zu bringen“, meint Kaiser. Einige hätten schon kapituliert und sich aus den sozialen Netzen verabschiedet.
Eine zentrale Frage in der anschließenden Diskussion war, was frau/man denn gegen diese Bewegung, „die die Welt zurückdrehen will“, machen kann. Dafür hatte Susanne Kaiser kein Patentrezept, aber die Empfehlung, sich zu wehren, sich zusammen zu schließen und gemeinsam dagegen vorzugehen, das Patriarchat wieder einzuführen. Sie empfahl, die Beratungsstelle gegen digitale Gewalt „HateAid“ in gravierenden Fällen einzuschalten und sie lobte in diesem Zusammenhang auch den Ansatz sowie die Projekte im Rahmen des Programms „Demokratie leben! “in Minden. Es sei wichtig, präventiv über die Zusammenhänge aufzuklären, das brauche Fortbildung – auch für Lehrende – und Medienkompetenz bei Schüler*innen.
Ein „Nachteil“ von Demokratien sei es, dass sie eher langsam funktionieren, Prozesse und Gesetze eben nicht schnell verändern, um Hass und Hetze zu gerichtlich verfolgen zu können, so Kaiser auf eine weitere Frage aus dem Publikum. Nur der Staat dürfe auf Gewalt mit Gewalt antworten. Wie groß die Gefahr sei, die von der genannten Netz-Allianz ausgehe?, wollte eine Zuhörerin wissen. Kaiser verwies auf die aktuell veröffentlichte Rangliste der Pressefreiheit in Staaten, wo die Bundesrepublik Deutschland von Platz 16 auf nun 21 abgerutscht ist, unter anderem, weil es viele Angriffe aus der rechten Szene auf Journalisten bei Demonstrationen und auch in den sozialen Netzen gegeben hat.
Auf die Pressefreiheit ging auch Moderator Michael Buhre ein. Demokratie müsse „jeden Tag verteidigt werden“, so Buhre. Als problematisch werde in der jüngsten Auswertung vor allem die Straflosigkeit genannt. Viele betroffene Medienschaffende äußerten sich zudem unzufrieden mit der Arbeit von Polizei und Justiz. Die Täter*innen kämen häufig ungeschoren davon.
Auch in der Kategorie „sozialer Kontext“ habe Deutschland Punkte verloren. Journalist*innen erleben häufiger Sexismus, Rassismus und Queer-Feindlichkeit – „also überall dort, wo die Ungleichheit der Menschen den ideologischen Rahmen setzt. Das ist wohl kein Zufall“, fasst Buhre zusammen.
Demokratiekonferenz 2023 – Wie geht es weiter?
Mit den Ergebnissen und der Diskussion in der Demokratiekonferenz wird weiter gearbeitet. Der Begleitausschuss resümiert die Konferenz anschließend und konkretisiert die Handlungsfelder und Ideen. In den folgenden Monaten sollen dann Projekte und Aktionen initiiert oder selbst organisiert werden. Es sind aber auch Projekte zu anderen thematischen Schwerpunkten weiter möglich. Diese werden aus dem Programm „Demokratie leben!“ des Bundes gefördert. Vorschläge und Ideen nimmt Marcel Komusin unter der E-Mail-Adresse info@lap-minden.de entgegen.
Der Lokale Aktionsplan Minden (LAP) wurde 2011 ins Leben gerufen, um lokale Bündnisse gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu stärken. Seit dem 1. Januar 2015 steht das Motto "Demokratie leben!" in Minden für die aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an einer Partnerschaft für Demokratie. In einmal jährlich stattfindenden Demokratiekonferenzen hat jeder im Rahmen des Bundesprogramms die Gelegenheit über Chancen und Herausforderungen sowie über die künftige Arbeit des Lokalen Aktionsplanes mitzudiskutieren. Die Ergebnisse sind im Handlungskonzept zusammengefasst, das vom Rat der Stadt legitimiert wurde.