Pressestelle

Buttjersprache ist "Immaterielles Kulturerbe"– Logoübergabe im Rathaus


Sie ist immer noch gegenwärtig in Minden. Fast alle in der Stadt kennen sie und vor allem ältere Bürger*innen aus der Altstadt sprechen sie noch hier und da. Die Rede ist von der „Buttjersprache“. Sie ist nun als "Immaterielles Kulturerbe" der UNESCO anerkannt worden – zusammen mit den anderen Rotwelsch-Dialekten im deutschen Sprachgebiet. Nun hat der in der Mindener Altstadt geborene Klaus Siewert, promovierter und habilitierter Sprachwissenschaftler von der Universität Münster, das Logo "Immaterielles Kulturerbe", das 20 Seiten umfassende Antragswerk und den Bewilligungs-Bescheid des NRW-Landesministeriums für Kultur und Wissenschaft an Bürgermeister Michael Jäcke übergeben.

„Es handelt sich hier nicht um eine Sprache im eigentlichen Sinne, sondern um ein geheimsprachliches Instrument zur internen Kommunikation von Angehörigen meist ärmerer Schichten“, so Siewert, der auch Vorsitzender und Gründer der Internationalen Gesellschaft für Sondersprachenforschung (IGS) mit Sitz in Münster ist. Mit am Tisch sitzen bei diesem Pressegespräch am 21. Juni im Rathaus auch Vertreter*innen von verschiedenen "Trägergruppen", die die Buttjersprache auf unterschiedliche Weise verwenden und damit bewahren, unter ihnen der „Mindener Buttjer“, Dieter "Didi" Böhning, bekannt als Alleinunterhalter und durch seine Auftritte beim Mindener Freischießen.

Auch Bürgermeister Michael Jäcke – wie Siewert in Lerbeck aufgewachsen - hat einige Sätze in der Buttjersprache parat: „Latscho, da haste Dich aber ne tobiffte Schmese an“ (Junge, Du trägst aber einen tollen Anzug) oder „Latscho, was schmust die Osnik?“ (Junge, wie spät ist es?). Er lobte das Engagement Siewerts für die Stadt und seine erfolgreiche Initiative. Mit der Mindener Buttjersprache habe Minden nun auch ein anerkanntes Kulturerbe nach der UNESCO-Konvention von 2003, hob der Bürgermeister hervor.

Die geheimsprachliche Kommunikation der Buttjersprache wurde durch einen „schichtenspezifischen Sonderwortschatz“ ermöglicht und entwickelte sich vermutlich um die Mitte des 19. Jahrhunderts in der Oberen Altstadt. Dort wohnten überwiegend ärmere Menschen, unter ihnen Sinti und Roma, in beengten Verhältnissen. Auch Bewohner*innen der Mindener Fischerstadt mit ihren Hafenarbeitern, Schiffern und Fischern nutzten den geheimen Wortschatz.

„Anders als natürliche Sprachen, die im besten Fall eine gelungene Verständigung von Menschen gewährleisten, verfolgten Sprecher*innen von Rotwelsch-Dialekte in früheren Zeiten – geradezu umgekehrt – den Zweck der kommunikativen Ausgrenzung. Zuhörer sollten also vom Verstehen des Gesagten ausgeschlossen werden“, erläutert Klaus Siewert. Ihre exklusive Sondersprache half den Bewohner*innen dabei, interne Verabredungen zu treffen und Vorhaben zu planen, die in Hörweite stehende externe Zuhörer, darunter „Obrigkeiten“ und militärische Besatzer, nicht verstehen sollten.

Wie alle mündlich überlieferten Sondersprachen hat die „Buttjersprache“ keine eigene Grammatik, und auch die Schreibweise der Wörter variiert. Entscheidend ist der Tarnwortschatz, der im Fall der Buttjersprache überwiegend aus dem Romani der Sinti und dem Westjiddischen bezogen ist. In einem von Siewert in den 1990-er Jahren begründeten wissenschaftlichen Mammutunternehmen, das 2023 abgeschlossen worden ist, sind nun die Tarnwörter sämtlicher rund 50 Rotwelsch-Dialekte im "Wörterbuch deutscher Geheimsprachen" auf 909 Seiten dokumentiert worden: die buttjersprachlichen Wörter sind in dem Werk durch die Sigle "MB" kenntlich gemacht. Die in den letzten Jahrzehnten entstandenen Tondokumente aus Sprecherbefragungen sollen 2025 ins Sprachenarchiv des Weltdokumentenerbes der UNESCO wandern, darunter auch die Tonbänder und Kassetten, die Siewert bei Befragungen von Sprechern der Buttjersprache 2001/2002 in Minden gemacht hat - Grundlage für sein Buch "Die Mindener Buttjersprache" 2002. 

Der Buttjersprache verwandte Rotwelsch-Dialekte in Westfalen sind zum Beispiel die Münstersche „Masematte“ oder auch das "Humpisch" der Tiötten im Tecklenburger Land. Die Verwandtschaft zeigt sich dabei besonders in gemeinsamen Schnittmengen in den jeweiligen Tarnwortschätzen.

In Minden wird die Buttjersprache im Rahmen lokaler Traditionspflege von einigen Trägergruppen immer noch praktiziert. Einige der Wörter sind in den Wortschatz der örtlichen Umgangssprache eingegangen, wie etwa nerbelo (leicht verrückt), beschucken (beim Bezahlen schummeln), Malocher (Arbeiter) oder Mischpoke (Familiensippe/Gesellschaft).
Didi Böhning berichtet im Pressgespräch, dass ihn vor rund 25 Jahren die Spitze des Mindener Bürgerbataillons angesprochen hatte, um die Buttjersprache wieder mehr ins Gedächtnis zu rufen. Fortan begleitete er Einmärsche beim Freischießen in der Innenstadt oder die Aufstellung des großen Parademarsches mit einer lokal–sprachlichen Moderation. Der in Minden aufgewachsene Autor Wolfgang Prasuhn (u.a. „Die Flintenkinder“) hat kürzlich eine Weihnachtsgeschichte in der Buttjersprache veröffentlicht, zu der Manfred Schmidt und Susanne Menzel ein Video erstellt haben. Eine Buttjer-Klönstube haben Maren Olsen und Gitte Juritsch gegründet. Sie kommen derzeit regelmäßig mit Interessierten im Treffpunkt Johanniskirchhof zusammen und suchen noch nach einem geeigneten Raum für ihre Treffen.

Klaus Siewert hatte im Herbst 2023 sein Antragswerk zur Anerkennung der historischen Geheimsprachen in Deutschland vom Typus Buttjersprache eingereicht. Vorher hatte er einige Überzeugungsarbeit unter anderem bei den Verantwortlichen im Landesministerium zu leisten. Denn Sprachen und Dialekte an sich sind laut einer UNESCO-Konvention vom "Immateriellen Kulturerbe" ausgeschlossen. Der Antrag von Klaus Siewert wurde auch durch ein entsprechendes Schreiben der Stadt Minden unterstützt, die auch Fotos und Sprachdokumente sowie Videos beisteuerte.

Für eine Anerkennung als "Immaterielles Kulturerbe" gibt es zudem eine besondere Voraussetzung: begleitende wissenschaftliche Dokumentationen und Forschungen. Das von Siewert und seinem Forschungsteam 2023 vorgelegte Werk „Wörterbuch deutscher Geheimsprachen: Rotwelsch-Dialekte" in ca. 30.000 Artikeln war für die Anerkennung grundlegend.

Das fachwissenschaftliche Antragswerk unter dem Titel „Rotwelsch-Dialekte als Träger kultureller Ausdrucksformen" schuf Siewert für sein Begehren in nur drei Monaten. Die 9 Rotwelsch-Dialekte in Nordrhein-Westfalen sind bereits „als Träger kultureller Ausdrucksformen in der Gegenwart" in das Landesinventar Immaterielles Kulturerbe in NRW eingetragen worden; alle anderen Rotwelsch-Dialekte außerhalb von NRW sind mit dem Bescheid des Ministeriums ebenfalls schon jetzt "Immaterielles Kulturerbe"; für den Eintrag in das Bundesweite Verzeichnis ist jetzt noch die Bestätigung der Deutschen UNESCO-Kommission abzuwarten.  

Für Klaus Siewert war das Ganze schließlich ein Heimspiel der besonderen Art: Als er von Lerbeck zum Besselgymnasium nach Minden wechselte, ermahnte ihn seine Oma Tina, bloß nicht in die Fischerstadt zu gehen. Wie bei jedem Heranwachsenden weckte das erst recht die Neugier. Bei Käpt’n Eta ist er zum ersten Mal auf Begriffe aus der Buttjersprache gestoßen, die nun für alle Zeiten „Immaterielles Kulturerbe“ sind.

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