Viele Bürger*innen – auch in Minden – wünschen sich vor allem in Wohngebieten und auf Schulwegen Tempo 30. Doch bislang waren den Städten und Gemeinden die „Hände gebunden“, denn Tempo 30 durfte nur „bei besonderen Gefahrensituationen“ sowie vor Schulen, Kitas und Seniorenheimen angeordnet werden. Bereits im Februar 2022 hat sich daher Minden der bundesweiten Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ angeschlossen. Die Weserstadt war seinerzeit die erste in Ostwestfalen-Lippe.
Mittlerweile zählt das von der Stadt Leipzig gegründete Bündnis mehr als 1.100 Städte, Gemeinden und auch Kreise. Ziel war es, mehr Handlungsspielräume bei der Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit - insbesondere auf 30 Kilometern pro Stunde (km/h) - zu erhalten und Druck auf das Bundesverkehrsministerium auszuüben. Dieses hat es in der Hand, die geltenden Grundlagen in der Straßenverkehrsordnung zu ändern. „Was dann folgte, war ein längerer Prozess“, erläutert der Beigeordnete für Städtebau und Feuerschutz, Lars Bursian, in einem Gespräch. Obwohl die Bundesregierung bereits am 12. Oktober 2023 die Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften beschlossen hat, darf die Stadt Minden immer noch nicht loslegen.
Der Grund: Neben der Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung selbst musste auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu ebendieser Verordnung angepasst werden. Und regelmäßig werden diese bundesweit geltenden Änderungen auf Länderebene noch durch Erlasse ergänzt, bevor sie in den Kommunen umgesetzt werden können. „Zwei Projekte in Häverstädt und Bärenkämpen könnten zügig realisiert werden, sobald die entsprechenden Erlasse dazu vorliegen würden“, macht Gunnar Kelb, Leiter des Bereiches Verkehr deutlich. Die Stadt möchte möglichst noch im Sommer 2025 in der Mindener Straße - in Höhe der Grundschule „Am Wiehen“ - und in der Zähringer Allee - zwischen Freiherr-von Vincke-Realschule und Jugendhaus Geschwister Scholl - die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h beschränken.
Wann die Stadt die dafür vorgeschriebene Anhörung mit der Polizei und dem Straßenbaulastträger - hier in beiden Fällen die Städtischen Betriebe Minden - starten kann, ist noch unklar. Zwar ist die „12. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung“ nach Beschluss im Bundesrat und entsprechender Veröffentlichung nun am 10. April 2025 in Kraft getreten. Ein für Nordrhein-Westfalen einheitliches Vorgehen wiederum wird durch das entsprechende Ministerium in Düsseldorf in sogenannten Verkehrsingenieurbesprechungen festgelegt und in Niederschriften festgehalten.
Erst danach dürfen die Kommunen mit der Umsetzung beginnen. „Die Niederschriften der Besprechungen haben Erlass-Charakter“, erläutert Gunnar Kelb. „Bis diese vorliegt, kann das aber nochmal bis zu drei Monate dauern.“ Der Unmut über diesen ziemlich langen Weg vom Beschluss der Bundesregierung im Oktober 2023 bis jetzt ist Gunnar Kelb deutlich anzumerken.
Die Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ wertet ihre Arbeit als großen Erfolg, zieht aber eine gemischte Bilanz zur Straßenverkehrsrechtsreform. Mit dem Beschluss des Bundesrates am 21. März 2025 zur neuen Verwaltungsvorschrift (VwV) für die bereits im vergangenen Herbst novellierte Straßenverkehrsordnung (StVO) sei der langwierige Reformprozess des deutschen Straßenverkehrsrechts vorerst abgeschlossen, heißt es in einer Meldung auf der Internetseite.
Die Initiative begrüßt die aktualisierte Hilfestellung für die Kommunen zur Umsetzung des neuen Straßenverkehrsrechts. Die Verwaltungsvorschrift schränke die durch die StVO-Novelle geschaffenen neuen Spielräume für die Kommunen nicht wieder ein, sondern gebe den Kommunen angemessene Leitlinien an die Hand, wie die neuen Regelungen im Sinne einer stadt- und umweltverträglichen Gestaltung vom Mobilität und Verkehr genutzt werden können.
Neben den erweiterten Möglichkeiten streckenbezogene Abschnitte mit Tempo 30 einrichten zu können bietet die Novelle der StVO weitere Neuerungen für Fußgängerüberwege und Bussonderfahrstreifen, für Fahrradstraßen und für Maßnahmen im Umwelt- und Klimaschutz.
Anordnungsmöglichkeiten für innerörtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 30 km/h
Die Anordnungsmöglichkeiten der Straßenverkehrsbehörden für innerörtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 30 km/h auch auf Vorfahrtsstraßen werden mit dem neu gefassten § 45 Abs. 9 Satz 4 StVO erweitert. Neue Anwendungsbereiche wurden hinsichtlich bestimmter sensibler Einrichtungen, etwa von Spielplätzen und hochfrequentierten Schulwegen, sowie zum Lückenschluss zwischen zwei Geschwindigkeitsbeschränkungen (Erweiterung von 300m auf 500m) durch eine Befreiung vom gesteigerten Erfordernis einer qualifizierten Gefahrenlage aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO geschaffen. Lediglich klarstellend wurden auch die Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen ergänzt.
Die Anordnungsvoraussetzungen entsprechen somit denen der bereits bisher nach § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 6 StVO bestehenden Anordnungsmöglichkeiten. Somit besteht entgegen der öffentlichen Wahrnehmung keine weitergehende Erleichterung bei der Anordnung von innerörtlichen streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkungen von 30 km/h auf Straßen des überörtlichen Verkehrs, sondern nur eine Ausweitung des bestehenden Katalogs der benannten Örtlichkeiten, bei denen auf das Erfordernis einer qualifizierten Gefahrenlage nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO verzichtet wird. Auch bei den neu hinzukommenden Anordnungsmöglichkeiten gilt, dass ein Automatismus, also dass vor den genannten Einrichtungen fortan stets Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 30 km/h anzuordnen sind, mit diesen nicht verbunden ist. Die Regelung setzt eine ergebnisoffene Einzelfallprüfung anhand der konkreten örtlichen Verhältnisse voraus. Ein umfangreiches Anordnen streckenbezogener Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 30 km/h kommt somit nicht in Betracht. Die materielle Beweislast der Straßenverkehrsbehörde bleibt bestehen.
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In der Diskussion zum Beschluss, der Initiative „lebenswerte Städte“ beizutreten verweisen Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen im Februar 2022 auf eine bereits seit den 1980er Jahren geführte Diskussion zu diesem Thema. Es sei bewiesen, dass Tempo 30 – statt 50 – die Unfallgefahr deutlich verringere und es zudem weniger Lärm sowie Abgase gebe.
„Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen soll nicht zu Verdrängungseffekten mit einer erhöhten Belastung untergeordneter Straßen führen. Hier erreichen uns auch gerade in den schon bestehenden Tempo 30-Zonen immer wieder Beschwerden, dass diese Zonen als Schleichwege genutzt werden“, so Beigeordneter Bursian. Es gehe aber nicht darum, flächendeckend überall Tempo 30 anzuordnen, sondern nur da, wo es Sinn macht, ergänzt er. Das bedeutet: Hauptverkehrsstraßen sollen Hauptverkehrsstraßen bleiben und für Sicherheit sollen die Maßnahmen auf den Nebenstrecken sorgen. Bursian: „Wir haben aber die ,Vision Zero’, das bedeutet, keine tödlichen Unfälle und möglichst auch keine schweren.“
Tempo 30-Zonen wurden in Minden als Maßnahme aus dem Verkehrsentwicklungsplan (VEP aus dem Jahr 1996) in den Folgejahren im gesamten Stadtgebiet verteilt eingeführt. Die Umsetzung erfolgte in den meisten Fällen nach dem Vorschlag des VEP überwiegend durch eine reine Beschilderung und ohne weitere bauliche Maßnahmen. Bauliche Maßnahmen werden sukzessive vorgenommen, wenn die Straßen wesentlich verändert werden, das heißt, wenn die Straßen in der Straßenbauliste des Fachbereich 5 oder den SBM aufgenommen wird. Einige Maßnahmen - zum Beispiel der Einbau von Berliner Kissen - wurden ergänzend unter Inanspruchnahme von Fördermitteln umgesetzt.